Tagungsbericht zur ITH 2016: „Güterketten und Arbeitsverhältnisse“

Matthew Heaney hat im vergangenen Jahr für die Johannes-Sassenbach-Gesellschaft an der Konferenz der Internationalen Conference of Labour and Social History (ITH) in Steyr/Österreich teilgenommen. In seinem Tagungsbericht schildert Heaney, um was auf der ITH ging.

 

Bericht über die ITH-Jahresversammlung 2016

Vorab fand die Jahresversammlung der ITH statt. Als Delegierter einer Mitgliedsorganisation durfte ich der Sitzung beiwohnen, obwohl ich den Anfang wegen der langen Anreise verpassen musste. Es war sowohl bei der Jahresversammlung wie auch bei der Konferenz unübersehbar, dass die ITH eine Organisation ist, die sehr Österreich-geprägt ist; auch unabhängig von dem Tagungsort scheint das der Fall zu sein (Mitgliedsinstitutionen). Die Anwesenheit eines „neuen Gesichts“ im Form eines Delegierten des JSG wurde begrüßt. Bei der Jahresversammlung ging es um übliche Dinge: Vorstandswahlen (einstimmige Wiederwahl des alten Vorstandes, dazu wurde Andrea Komlosy von der Universität Wien ins Kuratorium der ITH berufen), Entlastung des Altvorstandes, sowie auch Versuche einer „Öffnung“ der ITH, um Neumitglieder zu gewinnen, um die Fortführung der Organisation dauerhaft zu sichern. Zu diesem Zweck wurde beschlossen, eine Mitgliedschaftskampagne durchzuführen, m.E. auch um insbesondere Einzelpersonen, z. B. Studierenden, die Mitgliedschaft zu ermöglichen. Es gibt zur Zeit 70 Institutionen, die in der ITH zahlende Mitglieder sind.

 

Es geht:

• um die dauerhafte Absicherung der finanziellen Stabilität und Unabhängigkeit der ITH;

 

• darum, dass möglichst viele ForscherInnen und AktivistInnen weltweit ein Zeichen für die Wichtigkeit und Institutionalisierung der Forschung zu Geschichte der Arbeit setzen;

 

• darum, dass die ITH ihre Rolle als Mitorganisatorin und institutionelle Plattform für das 2013 gegründete European Labour History Network (ELHN) und das 2015 gegründete Global Labour History Network (GLHN) verlässlich spielen kann;

 

• darum, dass es die Stärkung des Einnahmepostens Mitgliedsbeiträge der ITH erleichtern wird, zusätzliche Fördergelder zu akquirieren. Die ITH-Konferenz 2017 zum Thema „Welten der Arbeit auf den Kopf gestellt – Revolutionen und Arbeitsbeziehungen in global-historischer Perspektive“ wird September 2017 in Linz stattfinden.

 

ITH-Tagungsbericht 2016: „Güterketten und Arbeitsverhältnisse“

 

Laut Programm ging es auf der ITH 2016 um Folgendes: „Die Tagung stellt sich zur Aufgabe, Arbeitsverhältnisse in Güterketten in ihrer Vielfalt und Kombination empirisch zu durchleuchten und so auch zur konzeptionellen Debatte über Arbeit, Wert, die Funktionsweise von Kapitalismus sowie die Handlungsmacht und -ohnmacht der direkt und mittelbar einbezogenen ProduzentInnen beizutragen. Zentral ist einerseits die Frage, wie sehr und wie die Arbeitsbedingungen, Arbeitsverhältnisse und Arbeitserfahrungen in einzelnen Standorten auf die Herausbildung der Warenketten eingewirkt haben. Zentral ist andererseits die Frage, welche Auswirkung die Einbeziehung in solche Warenketten auf die Arbeitsverhältnisse und die ArbeiterInnen in einzelnen Standorten hatten. Der Fokus der Tagung liegt auf der Stellung der Arbeitskräfte in der Güterkette.“

 

Vergangenheit und Zukunft: Labour History und Industrie 4.0

 

Es gab mehrere Beiträge, die diesen Anspruch stellten. Allerdings müsste ich hier anmerken, dass bei manchen ReferentInnen der Begriff „Labour History“ mit „Geschichte der Arbeit“ und nicht mit „Geschichte der Arbeiterbewegung“ gleichgesetzt wurde, u.a. in einem Vortrag einiger jüngerer WissenschaftlerInnen über den Herstellungsprozess des Stahls, oder über Arbeitsprozesse in der Landwirtschaft. Erfreulicherweise gab es aber auch Vorträge, wo es klar war, dass die HistorikerInnen bzw. SoziologInnen selbst aktiv in der Arbeiterbewegung bzw. in gewerkschaftlichen Zusammenhängen sind oder die Aktivität entsprechender Bewegungen zum Schwerpunkt ihrer Forschungsdarstellungen machten. Das war der Fall in einem sehr interessanten Vortrag über Foxconn in Tschechien: über Leiharbeit, Arbeitskontrolle, Rassismus und eine damit einhergehende Spaltung der Belegschaft, und über die Auswirkungen solcher multinationalen Konzerne auf die Arbeitswelt eines Landes als ganzes oder auf die Gesetzgebung. In weiteren Vorträgen ging es um Arbeitsbedingungen unter „Billigflaggen“, um Arbeitskämpfe unter migrantischen PalmölarbeiterInnen in Malaysia oder bei kambodschanischen TextilarbeiterInnen. Es gab auch einen Vortrag über den Eisenbahnbau in Assam im britischen Imperialismus. Als aktiver Gewerkschafter mit historischem Interesse haben mich selbstverständlicherweise diese Vorträge am meisten angesprochen. Ich habe rege an den Diskussionen teilgenommen, auch außerhalb der Sitzungen. Das BMW-Motorenwerk in Steyr, wo die Eigenheiten der österreichischen Arbeitervertretung näher betrachtet werden konnten, wurde gemeinsam besucht; daraufhin haben der Betriebsratsvorsitzende und der Bundessekretär für Bildung und Internationales der Gewerkschaft PRO-GE (ehemals bzw. Zusammenschluß der Metall-Textil-Nahrung mit der Chemiearbeiter) die ITH-Konferenz besucht und über Industrie 4.0, Just-in-Time, Globalisierung, Produktionsketten etc. aber auch um Interessenvertretung im Betrieb und im ÖGB mit uns diskutiert.

 

Resümee: „Interessante Tagung“

 

Über die zweieinhalb Tage habe ich die Sassenbach-Gesellschaft vertreten; es gab Fragen zur JSG, die ich hoffentlich gerecht beantworten konnte; die Informationsflyer habe ich verteilt. Es waren nur wenige andere ähnliche Organisationen präsent (z.B. der Förderverein für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung). Die Tagung war durchaus interessant, ich fand es aber klar, dass die ITH nur von der Teilnahme von HistorikerInnen, die auch Gewerkschaftsmitglieder (und umgekehrt) sind, leben kann (und damit wird klar, dass „Labour History“ hier „Geschichte der Arbeiterbewegung“ (und nicht „Geschichte von technischen Arbeitsprozessen“) bedeutet), und auch, dass die ITH nur eine Zukunft hat, wenn sie es schafft, neue Institutionen als Mitglieder zu gewinnen und Institutionen, die bereits Mitglieder sind, aktiv einzubinden. Nur damit könnte die historisch bedingte Fokussierung auf Österreich überwunden werden, falls gewollt.

 

Matthew Heaney

 

Das Programm der Tagung gibt es hier...