Nachruf auf Horst Singer

Die Johannes-Sassenbach-Gesellschaft trauert um ihren langjährigen stellvertretenden Vorsitzenden und Geschäftsführer Horst Singer. Er verstarb nur wenige Wochen nach seinem 90. Geburtstag am 15. Juli 2020.

Copyright: Hartmut Simon
Copyright: Hartmut Simon

 

Horst Singer stammte aus dem Erzgebirge, er war seit seiner Jugend politisch aktiv – Mitglied der FDJ mit 17 Jahren und der SED mit 19. Bald arbeitete er journalistisch und nach seinem Diplom in Gesellschaftswissenschaften (1956) wurde er Redakteur bei der „Jungen Welt“. Weitere Stationen führten schließlich bis zum Chef vom Dienst der DDR-Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“. Hauptamtliche gewerkschaftliche Funktionen übernahm er seit den frühen 1970er Jahren, in der Gewerkschaft Kunst als stellvertretender Vorsitzender dann ab 1982. Die Verbindung gewerkschaftlicher, politischer Aktivität mit kulturellem Engagement zieht sich durch Horst Singers Biografie – die Jahre, in der er den legendären Künstlerklub „Die Möwe“ als Direktor leitete, sind dafür Ausdruck und Höhepunkte seines Wirkens zugleich.

 

 

Horst Singer hat die politischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse in der DDR seit den späten 1980er Jahren bald reflektiert. Als einer der Mitorganisatoren der bis dahin größten demokratischen Demonstration am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz hat er an dem demokratischen Reformprozess jener Monate aktiv mitgewirkt.

 

In der sehr schnelllebigen Umbruchsphase war er einer derjenigen, die sich für den Erhalt von Kulturgut einsetzte – das Erbe der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung war eines jener Kulturgüter, das seinem Engagement galt. Als Gründungs- und Vorstandsmitglied von Johannes-Sassenbach-Stiftung und deren Nachfolgeorganisation Johannes-Sassenbach-Gesellschaft hat sich Horst Singer auch für die Forschung zur Geschichte der Gewerkschaftsbewegung eingesetzt – nicht nur der damals noch junge Nachwuchsforscher Detlev Brunner hat davon profitiert.

 

 

Horst Singer hat, zunächst mit Helga Grebing, und in deren Nachfolge mit Hans-Otto Hemmer ein schlagkräftiges deutsch-deutsches Team gebildet, das die unterschiedlichen Aspekte der deutschen und europäischen Gewerkschaftsgeschichte im Auge hatte und Wege für deren wissenschaftliche Bearbeitung und Würdigung suchte und fand.

 

 

Die Schriftenreihe der Johannes-Sassenbach-Gesellschaft, die Publikation der Reden und Vorträge, das beständige Werben für das Anliegen der Johannes-Sassenbach-Gesellschaft ist seinem unermüdlichen Einsatz zu danken. Horst Singer wurde im Juni 2008 als Geschäftsführer der Gesellschaft feierlich verabschiedet, er war fortan Ehrenmitglied. Die Johannes-Sassenbach-Gesellschaft wird seine reichhaltige Erfahrung, seine Unterstützung und seinen Rat vermissen – wir werden ihn in ehrendem Gedenken bewahren.

 

 

Hans-Otto Hemmer/Detlev Brunner

 

Nachruf auf Helga Grebing

Die Johannes-Sassenbach-Gesellschaft trauert um ihre Ehrenvorsitzende Helga Grebing. Sie verstarb am 25. September 2017 nach zweimonatiger schwerer Krankheit.

Helga Grebing 1930 - 2017 Copyright: Wikimedia Commons/Helga Grebing, Fotoarchiv

Helga Grebing wurde am 27. März 1930 in eine Arbeiterfamilie in Berlin-Pankow geboren.  Ab 1949, nicht einverstanden mit der politischen Entwicklung der DDR, studierte sie an der Freien Universität Berlin, wo sie auch promovierte. Es folgten Tätigkeiten in der politischen Bildung, im Jahre 1969 in Frankfurt a.M. wurde sie im Fach Politische Wissenschaft habilitiert.  Helga Grebing lehrte als Professorin an den Universitäten Frankfurt a.M., Göttingen und Bochum. Dort leitete sie das Institut zur Erforschung der europäischen Arbeiterbewegung; 1995 wurde sie emeritiert.


Als engagierte Sozialdemokratin und Gewerkschafterin wie  als akademische Lehrerin zeigte sie sich offen für Ideen und Bewegungen, die sich keineswegs in klassische sozialdemokratische Raster einfügen ließen. Dazu kam, dass sie die Beschäftigung mit Geschichte nicht als ein akademisch abgehobenes Unterfangen ansah, sondern stets die Vermittlung von Geschichte im emanzipatorischen demokratischen Auftrag suchte.


Die Johannes-Sassenbach-Gesellschaft wäre ohne das Engagement Helga Grebings nicht denkbar. Ihre Autorität als „Nestorin“ der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, ihre vielfältigen politischen und gewerkschaftlichen Kontakte halfen maßgeblich, die reichhaltigen Archiv- und Bibliotheksbestände des FDGB im vereinten Deutschland zu sichern und in eine Stiftung des Bundesarchivs einzubringen.


Helga Grebing war in jenen „Wendejahren“ eine gesuchte Gesprächspartnerin, und vielleicht war die eine oder andere Begegnung auch eine späte Genugtuung. Aber in der Sache spielten diese atmosphärischen Strömungen keine Rolle – es ging um den Erhalt von Kulturgut im Interesse nicht nur der Arbeiterbewegung, sondern der Geschichte insgesamt. Seit der Gründung der Johannes-Sassenbach-Gesellschaft am 12. August 1992 bis zum 19. März 1998 stand Helga Grebing der Gesellschaft als erste Vorsitzende vor. Seitdem war sie Ehrenvorsitzende der JSG.


Helga Grebing war bis zuletzt wissenschaftlich und politisch engagiert. Die Johannes-Sassenbach-Gesellschaft wird ihre Erfahrung und ihren Rat vermissen. Ihr Engagement für soziale Demokratie und soziale Gerechtigkeit und auch der Mut zur Utopie, den sie sich bis zuletzt bewahrt hat, sind unser Vermächtnis.


Detlev Brunner

Nachruf auf Prof. Dr. Hermann Weber

 

Unser Mitglied Prof. Dr. Hermann Weber ist am 29. Dezember 2014 im Alter von 86 Jahren verstorben.

 

Der 1928 in Mannheim geborene Hermann Weber stammte aus einem kommunistischen Arbeiter-Elternhaus – der Vater saß während der Nazi-Zeit mehrmals im Gefängnis. Hermann Weber begann 1946 eine Ausbildung zum hauptamtlichen KP-Funktionär an der  Parteihochschule Karl Marx in Liebenwalde und Kleinmachnow bei Berlin. Mit seiner Frau Gerda ging er 1949 zurück in den Westen – als Chefredakteur der FDJ-Zeitung nach Frankfurt am Main und Düsseldorf. 1952 setzte der FDJ-Chef Erich Honecker Weber wegen unzulänglicher Würdigung Stalins ab. 1953 wurde das Ehepaar Weber als „kommunistische Rädelsführer“ inhaftiert. 1954 schloss die KPD Gerda und Hermann Weber aus der Partei aus.

 

Es folgte eine Phase von Arbeitslosigkeit und Aushilfstätigkeiten, bis Hermann Weber in den sechziger Jahren eine atemberaubende akademische Karriere absolvierte: vom Abitur 1964 bis zum Universitätsprofessor seit 1975. Hermann Weber hat sich wissenschaftlich vorrangig mit dem deutschen Kommunismus und der DDR beschäftigt. Er wurde, trotz aller Anfeindungen und Anfechtungen aus der DDR, zum weithin anerkannten und geschätzten Fachmann auf diesem Gebiet in der Bundesrepublik. Klaus Schönhoven hat in seiner Trauerrede erläutert, warum Weber eine derartige wissenschaftliche Anstrengung auf sich genommen habe: „Er wollte einsehbar machen, dass man soziale Gerechtigkeit nicht auf diktatorischem Wege herstellen könne, weil dies dann stets auf Kosten der Freiheit des Einzelnen gehe.“

 

Nach dem Fall der Mauer hat Hermann Weber sich in hervorragender, höchst intensiver und effektiver Weise um die Sicherung der archivalischen Hinterlassenschaften der DDR sowie um die Erforschung ihrer Herrschaftsstrukturen und –formen gekümmert. In diesem Zusammenhang war er auch Gründungsmitglied von Sassenbach-Stiftung und –Gesellschaft und maßgeblich am Zustandekommen dr Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) beteiligt. Dafür schulden wir ihm Anerkennung und Dank! In den 25 Jahren seit dem Mauerfall wurde er zum Nestor der Kommunismusforschung. Dabei blieb er stets sachlich und gesprächsbereit, auch gegenüber jenen, die ihn lange diffamiert hatten.

 

Weber hat ein umfangreiches und beeindruckendes wissenschaftliches Lebenswerk hinterlassen – besonders empfohlen seien seine mit Gerda Weber gemeinsam verfassten Erinnerungen: „Leben nach dem Prinzip Links“.

Wir werden Hermann Weber ein ehrendes Andenken bewahren.   

 

Hans-Otto Hemmer, Vorsitzender der JSG

 

Nachruf auf Friedhelm Busse

Friedhelm Busse - Pädagoge und Gewerkschafter

Tief betroffen mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass unser langjähriger Stellvertretender Vorsitzender, der Diplom-Pädagoge Friedhelm Busse, Mitbegründer der Johannes-Sassenbach-Stiftung und -Gesellschaft, am 14. Januar 2012 im Alter von 61 Jahren nach kurzer heimtückischer Krankheit verstorben ist.

 

Als frei gewählter Gewerkschafter der letzten Stunde der DDR war er danach ein Mann der ersten Stunde in Bonn und Berlin, als es um Rettung und Erhalt einzigartiger Archive und Bibliotheken deutscher Gewerkschaftsgeschichte ging. Als Mitbegründer der diesem Zwecke dienenden Johannes-Sassenbach-Stiftung in der DDR und ihrer Rechtsnachfolgerin Johannes-Sassenbach-Gesellschaft als eingetragener Verein in der BRD trug er mitentscheidend zur Formierung der "Stiftung der Archive der Parteien und Massenorganisationen der DDR" im Bundesarchiv bei.

 

Am 11. Februar 1950 im altmärkischen Salzwedel geboren, nahm er nach dem Besuch der Polytechnischen Oberschule eine Ausbildung und Tätigkeit als Vollmatrose der Hochsee-Handelsschifffahrt der Deutschen Seerederei in Rostock auf. Daran schloss sich 1970 ein fünfjähriges Studium an der Pädagogischen Hochschule Erfurt/Mühlhausen an, das ihn zum Diplomlehrer in den Fächern Mathematik und Physik befähigte. Es folgten Jahre als Lehrer, Oberlehrer und Direktor an Oberschulen in Berlin-Mitte und Berlin-Marzahn.

 

1986 wurde er als Mitarbeiter in den Zentralvorstand der Lehrer-Gewerkschaft Unterricht und Erziehung berufen, ein Jahr später als Sekretär für Arbeit, Soziales und Löhne gewählt. Im Februar 1990 wählte ihn seine neukonstituierte Gewerkschaft als Vorsitzenden des Geschäftsführenden Vorstandes, bis er sie am 31.12.1990 in die Selbstauflösung und Liquidation f¨hren musste.

 

Pädagogik als Lebensaufgabe veranlasste ihn auch, 1992 einen freien Bildungsträger und "Förderverein Initiative Bildung e. V. Berlin" zu gründen, dessen kreativer Vorsitzender er bis an sein Lebensende war.

 

Er war einer unserer Ersten und Besten, ein Lehrer aus Neigung und Gewerkschafter aus Überzeugung. Wir gedenken seiner in Ehren, indem wir in seinem Sinne wirken.

 

Horst Singer, ehem. Stv. Vorsitzender und Geschäftsführer

 

Nachruf auf Prof. Dr. Klaus Tenfelde

Kumpel Professor

Die Johannes-Sassenbach-Gesellschaft trauert um ihr ehemaliges Vorstandsmitglied Klaus Tenfelde. Prof.Tenfelde starb am 1.Juli 2011 im Alter von 67 Jahren in Bochum.

 

Tenfelde war ein brillanter Kenner der internationalen und deutschen Arbeiterbewegung, der Wirtschafts- und Sozialgeschichte und insbesondere des Ruhrgebiets.

 

Seine Dissertation von 1975 "Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr im 19.Jahrhundert" ist Standardwerk. Die große Gesamtgeschichte des Ruhrgebiets hat er nicht vollenden können – das "Historische Lesebuch" zum Ruhrgebiet ist sein Vermächtnis.

 

Tenfelde war gelernter Bergmann, holte sein Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg nach, studierte Geschichte und Germanistik in Münster. Nach Dissertation und Habilitation folgten Stationen als Professor in Innsbruck und Bielefeld.

 

1995 folgte er Helga Grebing auf dem Lehrstuhl für Sozialgeschichte und soziale Bewegungen an der Ruhr-Universität Bochum und übernahm damit auch das von Hans Mommsen gegründete Institut für soziale Bewegungen. 1998 wurde die "Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets" gegründet – beide Institutionen befinden sich im "Haus der Geschichte des Ruhrgebiets", dem ehemaligen Sitz des Verlags der IG Bergbau gegenüber dem Schauspielhaus Bochum.

 

Tenfelde hat unermüdlich daran gearbeitet, die verschiedenen Einrichtungen der Region zusammenzubringen, Verbindungen zwischen Universität, Wissenschaft, Kultur, Stadt und Land zu knüpfen und so ein intellektuelles Zentrum des Ruhrgebiets zu schaffen. Dass ihm das in diesem letztlich immer noch disparaten Städtekonglomerat (das er gern in einer "Ruhrstadt" hätte zusammenwachsen sehen) gelungen ist, ist eine herkulische Leistung.

 

Tenfelde war, wie man im Ruhrgebiet sagt, ein "Arbeitstier", auch auf diese elementare Weise der Schwerstarbeit, die den Landstrich geprägt hat, verbunden. Aber auch mit seiner Direktheit und Klarheit, seiner Verlässlichkeit und Menschenfreundschaft war er Ruhrpöttler. Er konnte eben, was nicht viele können, beides: Professor und Kumpel.

 

Die JSG verliert mit Klaus Tenfelde einen guten Freund und Mahner, das Wesentliche unserer Arbeit nicht aus dem Auge zu verlieren.

 

Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

 

Hans-Otto Hemmer, Vorsitzender der JSG